Vor Monaten habe ich angefangen „Kleine Geschichten“ zu erzählen. Geschichten, die viele Overlander kennen, sie manchmal erzählen, doch meist bleiben sie im Verborgenen. Aber, wie ich finde, diese Geschichten sind wichtig. Sie sind die Essenz des Reisens. Es sind Geschichten, die einem im Gedächtnis bleiben, fast eingebrannt sind und die auch nach langer Zeit Emotionen hervorrufen. Ich möchte Euch heute von Geoffrey erzählen. Es ist eine dieser kleinen Geschichten, die niemand je hören wird, wenn Sie nicht jemand erzählt. Ich finde, sie sollte gehört werden. Darum erzähle ich Sie …

Erstkontakt

Wir hier in der Lake Shore Lodge haben zwei neue Mitarbeiter für die Bar und das Restaurant gesucht. Die Kunde verbreitete sich und sie kamen. Einer von Ihnen war Geoffrey aus Kirando, einem Ort 20 Kilometer nördlich von uns. Und so saß vor uns ein junger, schüchterner Mann, der ein bescheidenes Englisch sprach. Wir stellen die üblichen Fragen: Woher kommst Du, wie alt bist Du, was hast Du vorher gemacht? Geoffrey war Lehrer, doch momentan hat er keinen Job, alle Stellen sind besetzt. Was er momentan macht fragen wir und er beginnt zu erzählen …

Er ist Lehrer, nicht nur sein Beruf, es ist eine Berufung. Er unterrichtet Straßenkinder. Unentgeltlich, den er hat ja keinen Job, der Staat bezahlt ihn nicht. Niemand hat Ihm gesagt, das er das tun muss, er tut es einfach. Weil er es kann, weil Bildung wichtig ist, weil er Lehrer ist. Er tut es für die Kinder, denn die haben sonst niemanden. Und so sammelt er Straßenkinder ein und unterrichtet sie. Unter einem schattenspendenden Baum am Straßenrand, der Sand auf dem sie sitzen ist zugleich seine Tafel. Dafür bekommt er manchmal ein paar hundert Schilling, manchmal eintausend. Eintausend Schilling sind ca. 45 Eurocent. Manchmal bekommt er gar nichts. Und dennoch sitzt er, wann immer es möglich ist, mit den Kindern zusammen und unterrichtet sie, bereitet sie auf die Grundschule (Primary School) vor. Ob er davon Leben kann? Nein, natürlich nicht. Dämliche Frage.

Entscheidungen

Louise und ich schauen uns an. Ohne Worte wissen wir: Das ist nicht unser neuer Mitarbeiter. Ohne Worte weiß ich aber auch, was Louise denkt, sehe es in Ihren Augen. Ich nicke, sage nur „I`m in“. Es ist klar, wir müssen etwas für diesen jungen Mann tun. Doch zwischen dem guten Gedanken und der wie auch immer gearteten Umsetzung liegt Planung, Umsichtigkeit und vor allem braucht es finanzielle Mittel, die dann auch nachhaltig und zielgerichtet eingesetzt werden wollen. Und so müssen wir Geoffrey aufs Erste ohne Job entlassen, nur mit der Perspektive, das wir einen Plan machen.

Schnipp … ein paar Wochen später. Ich fahre nach Kirando für ein paar kleinere Einkäufe. Ist auch gut mal raus zukommen. Zacharia, unser Lodge Manager begleitet mich. Auf dem Weg beschließe ich spontan, Geoffrey zu treffen. Zacharia erzählt mir, das er mittlerweile ein Haus hat, in dem er die Kinder unterrichtet. Also fahren wir hin …

Kriegste nicht auf den Schirm

Das „Haus“ ist ein 2×6 Meter großer Raum. Keine Tür, keine Fenster, der Betonboden ist kaputt, das Blechdach teilweise eingebrochen, es regnet rein. Es ist dreckig, laut, eine Bruchbude. Der Raum ist in einem Hinterhof, die Hauptstraße nur fünf Meter entfernt. Es gibt drei Bänke und drei Tische. Dünne Baumstämme in der Hälfte durchgesägt und zusammen gezimmert. Die Tafel ist eine halb zerbrochene Sperrholzplatte. Das, was ich sehe, als erbärmlich zu beschreiben ist noch sehr untertrieben. Kein Ort für kleine Kinder!

Der Raum kostet Geoffrey 45.000 Schilling. 20,- Euro im Monat. Vielleicht ein Achtel eines Lehrergehalts. Nur, das Geoffrey eben nicht vom Staat als Lehrer bezahlt wird. Wie er das bezahlt, frage ich. Die Eltern geben Geld, er hat ca. 12 Schüler, rund 5.000 Schilling pro Kind. Nicht immer können die Eltern zahlen, was er dann macht frage ich. Geoffrey zuckt mit den Achseln. Was bleibt am Ende für ihn übrig? Manchmal 20.000 Schilling (9,- Euro), manchmal weniger, manchmal gar nichts. Doch er macht dennoch weiter, tut es für die Kinder. Es ist seine Berufung, seine Liebe.

An dieser Stelle muss ich mal kurz nach draußen. Mir ein paar Tränen wegwischen und ordentlich schlucken. Tief durchatmen. Wenn man sowas in den Medien sieht, ist es weit weg. Traurig, ja, aber: Weit weg. Und es gibt viel Elend in der Welt, das ist uns allen klar. Wenn es in der Nachbarschaft direkt vor Dir steht … Leute, das ändert einiges. Nein, es ändert alles! Um es mal deutlich zu machen: Der Typ hat nichts zu fressen, vermutlich kein Dach über dem Kopf, weiß nicht was morgen ist und hat trotzdem nur den einen Gedanken – ich muss den Kindern eine Zukunft durch Bildung geben, alles andere ist nicht wichtig. Und er erzählt von seiner Vision mit einem Lächeln im Gesicht. Ich höre zu … mit Tränen in den Augen. Es ist brutal!

Und nun?

Mir ist klar, das es auf dieser Welt Zehntausende Geoffrey’s gibt. Und ich kann die Welt nicht retten. Niemand kann das. Aber dies ist „mein“ Geoffrey. Direkt vor meiner Haustür gibt es diesen unglaublich engagierten jungen Mann, der nur für seine Berufung lebt. Dünn, ausgemergelt, doch mit einem Lächeln im Gesicht, wenn er berichtet, mir seine Vision mitteilt. Seine Augen schauen mich an, fordern nichts, erwarten nichts, nie würde er mich fragen, was ich für Ihn tun könnte. Und doch steht da in seinen Augen „Bitte, bitte bwana mkubwa, wenn Du es irgendwie kannst, bitte hilf mir.“

Gebraucht wird: Alles! Es gibt keine Bücher, keine Stifte, kein Papier. Nichts! Das Bildungssystem hat diese Kinder vergessen. Hat Geoffrey vergessen. Häufig habe ich diese Momente auf meiner Reise erlebt. Und ich bin weitergefahren. Wir alle fahren weiter, was sollen wir auch tun. Es ist einfach unendlich schwer, das Richtige zu tun … was ist das Richtige? Wir geben eine Flasche Wasser, Obst, etwas Geld, ein T-Shirt. Es wird dankbar angenommen, doch was mehr können wir nachhaltig tun? Retten können wir diese Menschen nicht. Nur den Augenblick ein wenig schöner machen, Freude und Herzlichkeit bringen. Für wenige Momente. Vielleicht ist es das, was wir tun sollen, was die Bestimmung ist … den Moment erleuchten.

Es verblasst

Aber: Letztendlich fahren wir weiter. Erinnern den Moment auf Facebook, verbuchen ihn unter „Erlebnisse in Afrika“ in dem Buch, was wir vielleicht irgendwann mal schreiben werden. Und Erinnerungen verblassen. Der nächste schöne Moment ist da, zerstreut das Gesehene, schafft Platz für das nächste tolle Foto auf Instagram. Lagerfeuer-Momente, ein Bier, Jackie-Cola und eine Geschichte vom aufregenden Tag in der Wildnis, von Tieren und der Landschaft, das erinnern wir. Und Geoffrey? Wer? Genau! Ich kritisiere und verurteile das nicht, das ist der Gang der Dinge.

Wenn man wie ich bleibt, verändern sich Dinge. Man sieht sie. Jeden Tag. Man spricht mit den Menschen. Jeden Tag. Man hört ihre Geschichten. Jeden Tag. Und man versucht das Richtige zu tun. Jeden Tag. Ich weiß nicht, ob ich jetzt das Richtige tue, aber ich fühle, das jemand etwas tun muss. All dies ist schon Monate her. Monate, in denen es mir schwer gefallen ist, diese Zeilen zu Ende zu schreiben. Ich habe mich gefragt, ob all das richtig ist, ob ich diese Zeilen nicht nur schreiben, sondern auch veröffentlichen soll. Ob ich mit diesen kleinen Zeilen, ein wenig transportieren kann, was diese Momente mit mir machen. Ich habe eine Entscheidung getroffen: Diesmal „fahre“ ich nicht weiter!

Ihr wisst was kommt. Und es gibt keine Plakette mit eurem Namen, keinen Medienbericht, es gibt kein großes „Tamtam“ mit Zeremonie und niemand wird je erfahren, was passiert ist. Es gibt nur meinen tiefsten Dank. Und den der Kinder.

Ich habe da dieses „Buy me a coffee“ Ding auf meinem Blog. Hier nochmal verlinkt: https://my-trip-on-the-wild-side.com. Alternativ Paypal an hallo@thomaswest.de. Stichwort: Geoffrey. Leute, wenn Ihr einen einzigen Euro/Dollar übrig habt, nur einen, vielleicht könntet Ihr dann einen Kaffee für Geoffrey kaufen? In meinen zwei Jahren in Afrika habe ich viel Elend gesehen und mehr traurige Geschichten gehört als ich erzählt habe. Aber das Ding hier ist etwas anderes …

Also … einen Kaffee.
Nur einen.
Bitte.

Für Geoffrey.
Danke!

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