Oktober 15, 2025

Habt ihr einen Ort, der Euch nicht mehr los lässt? Oder einen Platz, den ihr als magisch bezeichnen würdet? Der etwas mit Euch gemacht hat?
Lasst mich Euch von einem Ort erzählen, der etwas in mir ausgelöst hat. Lasst mich Euch von einem uralten Ort erzählen.
Einem Tempel der Natur.
Einem heiligen Ort, der noch immer nicht alle Geheimnisse enthüllt hat (und es vielleicht nie tun wird).

Ich erfülle mir einen langgehegten Wunsch. Schon 2021 wollte ich unheimlich gerne – und ich weiß gar nicht warum – zu den Tsodilo Hills im Nordwesten Botswanas fahren. Dort gibt es Jahrtausende alte Felszeichnungen der Khoi-San. Was mich daran schon damals so fasziniert hat, kann ich nicht sagen. Manchmal habe ich einfach das Gefühl, an einen Ort fahren zu müssen. Hat damals aus Zeitgründen allerdings nicht geklappt. Jetzt ist es Zeit mir diesen Wunsch zu erfüllen. Die botswanische Grenze ist nicht weit und so steht der Plan.

Eingekauft = blöd!

Vorher kaufe ich noch etwas Wildfleisch – Gnu und Zebra – beim Mobola Camp ein. Das Camp am Okavango ist immer eine gute Anlaufstelle für gutes Fleisch jeder Art. In Divundu wird dann noch Wasser und Gemüse organisiert und schon bin ich auf dem Weg zur Mohembo Grenze. Der Grenzübergang ist easy, dauert 30 Minuten. Aber auch nur weil ich noch 15 Minuten Smalltalk mit dem Zollbeamten mache. Mein noch sechs Wochen gültiges „Road Tax Certificate“ zu deutsch „Straßennutzungsgebührbescheinigung“ – geiles Wort, oder? – verliere ich dabei und darf bei Einreise in vier Tagen das Ganze nochmal bezahlen. Sind ca. € 23,-. Dafür muss ich allerdings zum Zoll nach Rundu an der Grenze zu Angola fahren, den der Doba Grenzübergang, den ich nehmen werde, stellt als einzigster Grenzübergang zu Namibia diese Bescheinigung nicht aus. Fantastisch!

Not allowed

An der Ausfahrt des Grenzposten ist dann noch eine Veterinärskontrolle. Man darf Fleisch und verschiedene Gemüse nicht nach Botswana einführen. Weiß ich. Wegen der beständig vorherrschenden Maul- und Klauenseuche in Teilen Südafrikas und Namibia. Habe zwar noch nie gehört, das eine Tomate oder ein Kohlkopf Maul- und Klauenseuche gehabt hätten, aber es ist halt nicht alles logisch. Viel bescheuerter von mir ist: Ich habe den Kühlschrank voll mit Fleisch. Ich kenne die Gesetze, habe aber irgendwie nicht daran gedacht. Andererseits, es wird extrem selten kontrolliert. Nicht so hier. Man nimmt es genau. Mist!

Gemüsetechnisch sind Paprika, Lauch und Karotten okay, Zwiebeln und Weißkohl aber nicht. Fleisch geht gar nicht. Ich entschuldige mich mehrfach, „Ja, ich kenne die Regeln, war so aufgeregt wieder nach Botswana einreisen zu können – vergessen!“. Ich schäle zwei Zwiebeln, pelle die äußeren Blätter vom Kohl ab – da besteht man drauf -, quatsche die Jungs zwischendurch zu, entschuldige mich erneut. Ich erzähle von Gott und der Welt, lenke ab, mache Smalltalk. Letztendlich muss ich versprechen, das ich alles heute koche und die Fleischsäfte in ein tiefes Loch in der Erde laufen lasse. Geht klar, Officer. Ja und dann bin ich mal wieder in Botswana. Ich freue mich.

Tsodilo Hills

Bereits 2021 wollte ich hierher fahren. Ich kann nicht sagen warum, doch als ich damals den Ort auf der Karte entdeckte, wußte ich, das ich da hin muss. Komisch, oder? Manchmal fühlt man Dinge einfach. Leider konnte ich es damals nicht realisieren, die Zeit lief mir weg. Da der Ort jedoch nicht weg läuft, habe ich für „später“ geplant … und dann den Gedanken verloren.

Nun, im Frühjahr 2025, bin ich mehr so aus Versehen wieder ganz in der Nähe, wenn auch noch auf namibischer Seite. Vielleicht war es auch kein Versehen, wer weiß das schon. Außer vielleicht dem Universum.
Also bin ich mal schnell über die Grenze gehoppelt und zu den Tsodilo Hills gefahren. Die Hügelformation sieht man schon von weitem und ich war – ich muss es gestehen – aufgeregt. Ja, aufgeregt wegen ein paar Hügeln im Nirgendwo Botswanas.

Information ist alles

Tsodilo Hills ist 36 Kilometer von der Hauptstraße entfernt Richtung Westen. Die Piste ist okay, 50 Minuten später bin ich am Gate. An der abgelegenen Malatso Campsite im Norden darf ich leider nicht campen. UNESCO Welterbe, Sperrgebiet für mich. Nur mit Ausnahmegenehmigung. Also wird es für mich eines der Community Campsites werden. Ich sehe zwei Plätze mit Dusche und Toilette, entscheide mich aber dennoch für eine abgelegene Campsite mit schönem Ausblick im Busch. Die kostet trotzdem 130,- Pula, was circa € 9,- sind. Für hiesige Verhältnisse ein wenig teuer, doch der Ort ist einfach unfuckingfassbar cool und jeden Cent wert. Die geführte Wanderung zu den Felszeichnungen ist mit 120,- Pula wiederum recht günstig. Es gibt den „Rhino Trail“ mit ungefähr vier Kilometern. Dauert zwei Stunden. Der „Cliff Trail“ ist halb so lang und dauert zwei Stunden. Der „Lion Trail“ hat nur 800 Meter und dauert … zwei Stunden. In anderen Worten: Die Tante am Gate hat von Tuten und Blasen keine Ahnung. Die Wanderung mache ich morgen, dann sehen wir es ja.

Auf der Campsite bin ich der einzige Besucher, habe mir einen Platz auf einer Lichtung ganz am Ende gesucht. Ein fantastischer Platz, wie aus einer anderen Welt. Rechts, im Westen, ging bereits langsam die Sonne unter, tauchte den größten Hügel, „Male“ genannt, in goldenes Licht. Ein Lagerfeuer, ein Glas Wein, meine Gedanken, die Stille … und ich. Das war schon magisch.

Auf den Spuren der Geschichte

Die Wanderung zu den Felszeichnungen mache ich mit Xontae Xhao. „Xh“ ist wie im Xhosa ein Klicklaut, spricht sich in etwa wie … keine Ahnung wie sich das ausspricht. Er ist waschechter San, hier geboren und aufgewachsen. Das macht es für mich nochmal besonderer, den eigentlich führt er mich ja nicht nur herum, er zeigt mir seine Heimat und die Geschichte seines Volkes. Man sieht, er ist stolz darauf San zu sein. Xhontae sieht so alt aus, als hätte er einige der 3.000 Jahre alten Zeichnungen selbst gemalt. Und er ist ein Legende unter den Führern wird mir gesagt. Sein Englisch ist miserabel, er spricht jedoch außer seiner Muttersprache noch fünf weitere Bantusprachen. Ich spreche außer Deutsch noch Englisch, Französisch und etwas Kisuaheli. Der Punkt für Sprachkenntnisse geht an ihn. Der für Ausdauer im Übrigen auch, wie ich später feststelle.

Petroglyphen überall

Tsodilo Hills besteht aus vier Hügeln. „Male“, „Female“ und zweimal „Child“. Der Rhino Trail führt um „Female“ herum und auch hinauf, was bei 30 Grad Celsius anstrengend ist. Aber: Echt interessant. Xontae erklärt jede Zeichnung, jedes Tier und da ist alles dabei: Giraffe, Büffel, Elefant, Wildebeast, Esel, Eland Antilope, Kudu, Chameleon, Zebra, Nashorn. Ich kann kaum zwischen einer Antilope, einem Gnu und einem Esel unterscheiden. Mein Guide besteht darauf, das ich alle Tiere genau ansehe, alles fotografiere. Er nimmt sich Zeit, erklärt in seinem katastrophalen English jede Kleinigkeit. Die meisten Tiere findet man in dieser Gegend schon lange nicht mehr, da es kein Wasser gibt. Elefanten sieht man im Januar erklärt er. Da ziehen die Herden vom Khaudum Nationalpark in Namibia zum Okavango Delta. Wenig später zeigt er mir eine Zeichnung, auf der ich zwei Wale erkenne. Einer bläst gerade eine Wasserfontäne hoch. „Ja, und daneben siehst Du einen Pinguin“. Verrückt! Die Khoi-San sind über zwei Jahre hinweg bis zum Atlantik gewandert, haben Bilder der Tiere auf Holzplanken gemalt und dann hier in den Tsodilo Hills auf Fels verewigt. Copy/Paste der Steinzeit.

Thomas erhält ein Lehrstunde

Wir unterhalten uns ein wenig, und während ich noch denke „Mensch, mit Sprachen – insbesondere Englisch – hast Du es aber echt nicht“ erhalte ich eine Lehrstunde in Demut. Hochmut kommt halt vor dem Fall … und ich falle! Xontae spricht sieben Bantu Sprachen fließend darunter neben San auch Setswane, Himba, Herero, Ovambo und noch zwei weitere. Plus Englisch kommt er auf acht Sprachen, sieben davon fließend. Thomas kommt auf vier. Zwei fließend.

Botswana 1 : Germany 0. Verkackt!

Die Zeichnungen sind meist rot, eine Mischung aus Tierfett und Blut. Eine Zeichnung ist weiß. Hier wurde statt Blut Asche verwendet. Es gibt Zeichnungen von Menschen und Feuer. „Zwei alte San sind mit zwei Jüngeren zum Jagen gegangen und tanzen ums Feuer um den Jagderfolg zu feiern“, erklärt mir Xontae. „Und da am unteren Teil sieht man den Penis, waren ja nur Männer, keine Frauen dabei … verstehst Du was ich meine ;-)“, sagt er mit einem Grinsen. Aha, na wenn das mal nicht der Genderdebatte eine ganz andere Wendung gibt.

Tsodilo Tour Spezial

Dann kommen wir an einen weiteren Ort. Gunau bleibt stehen, ich schaue mich um. Hier ist nichts. Wir sind oben auf einem der Hügel, „Female“ genannt. Keine Zeichnungen, keine Artefakte – nichts!
„Ich möchte Dir diesen Ort zeigen“, sagt Gunau.
Cool … Büsche, Sträucher, Sand, Nichts.
„Hier stand das Dorf meines Großvaters, dort war seine Hütte. Er war der Häuptling des Stammes, wie später auch mein Vater“. Später zeigt er mir eine Stelle an der ovale Einkerbungen sind. „Zum Schleifen von Äxten. Eine Werkstatt“. Das auch Gunau Häuptling seines Stammes war und nun ein verehrter Weiser, Geachteter ist, verschweigt er. Er zeigt mir Überreste einer Werkstatt, versteckt im Busch. Eine Feuerstelle, die von Büschen überwachsen ist. Und ich … ich kann das Dorf sehen! Ich sehe das verdammte Dorf direkt vor meinen Augen. Frauen, die Essen zubereiten, Männer die von der Jagd zurück kommen, ein Handwerker, der Werkzeuge herstellt. Doch mehr noch, ich kann den Ort fühlen. In mir. Gespenstisch und magisch zugleich. Später erfahre ich, das dieser Ort nicht Teil der Tour ist, kein Führer bleibt hier stehen, selbst Gunau nicht. Doch diesmal, diesmal hat er jemanden hier hin geführt: Mich. Warum? Das weiß ich nicht. Vielleicht weil er gesehen – gespürt hat, das mich dieser Ort ergreift. Das ich ihn fühlen kann. Das ich Respekt habe, es nicht nur ein touristischer Ausflug ist. Ich weiß es nicht.

Fast am Ende

Wir steigen hinab ins Tal. Es ist beschwerlich, fast Klettern, doch Gunau achtet genau darauf wo ich hintrete, reicht mir die Hand. Muss witzig ausgesehen haben, wie ein 1,50 Meter großer San einem 1,80 Meter großem Mitteleuropäer die Hand reicht und ihm Hilfestellung gibt.
Wir beenden die Tour schweigend. Ich bin dabei mich zu verabschieden, doch Gunau möchte mir noch etwas zeigen. Es gibt ein kleines Museum auf dem Gelände. Die Geschichte der Tsodilo Hills, wie sie entdeckt und erforscht wurden. Das war in den 1960er Jahren des letzen Jahrhunderts. Interessant, nicht spektakulär. Auf einer Tafel ist ein Spruch, der mich gefangen hält. „Das sind meine Worte“, sagt Gunau. „Das ist von mir. Und das dort auf dem Bild bin ich, dort ist mein Vater, der Chief“. Taschenrechner an. Gunau hat Anfang der sechziger Jahre Forscher in die Hügel geführt. Als junger Mann, vielleicht zwanzig Jahre alt. Das heißt, der Typ, der ohne einen einzigen Schweißtropfen auf der Stirn mühelos mit mir durch die Hügel gewandert ist – während ich immer häufiger eine Pause brauchte – muss circa 80-85 Jahre alt sein. Brutal.

Geschichte emotional

Auf einer weiteren Tafel kommt der „Entdecker“ – besser: Erforscher – der Tsodilo Hills zu Wort. Er beschreibt wie ihn die San bitten mit ihnen zu kommen, denn sie möchten ihm etwas zeigen. Und so wandert die Gruppe in die Hügel, an einen Ort, an dem der Forscher noch nie war. Felszeichnungen überall. Hunderte. Artefakte, Tonscherben, rituelle, kultische Gegenstände. Er schaut sich um, schaut zu seinen Begleitern. „Seit 20 Jahren erforsche ich die Hügel, begleite Euch Jahr um Jahr, dokumentiere die Geschichte. Warum habt ihr mir diesen Ort so lange vorenthalten?“. Ein San tritt vor, hinter ihm die Gruppe der Stammesführer. „Dies ist der heiligste Ort der San, hier wohnen unsere Ahnen, hierhin kehren wir zurück, wenn wir nicht mehr sind. Dieser Ort ist ausschließlich den San vorbehalten. Du hast mit uns gelebt, bist mit uns gewandert, hast unsere Kultur respektiert und das Erbe der San in die Welt hinausgetragen. Heute bist Du San. Du bist einer von uns und deshalb zeigen wir dir diesen Ort“.

Vielleicht muss man die Tsodilo Hills gesehen haben, um diese Worte zu verstehen, um sie wirklich zu fühlen. In mir lösen sie Emotionen aus, selbst wenn ich das hier schreibe. Vielleicht weil auch ich sehr lange unterwegs war, auf der Suche nach einem Ort an dem ich bleiben darf. Ich bin immer noch ein Reisender, doch auch ich fühle mich in diesem Augenblick ein wenig angekommen. Und ich bin sehr froh und dankbar, das ich hier in den Hügeln sein durfte. Das ich den einzigen Führer hatte, der mir diesen Ort durch seine Augen zeigen konnte. Der mich mitgenommen hat auf eine Reise in seine Heimat, sein Dorf, seine Gemeinschaft. Das war einzigartig.

Es ist das, was ich weitergeben möchte. Ein Erlebnis, was einzigartig ist und was bleibt. In dir. Und für dich.

Achso, der Rhino Trail, der ist übrigens wirklich zwei Stunden lang …